Das Bleibende zu erkennen bedeutet
Einsicht,
Das Ewige zu erkennen klärt den Sinn.
Laotse
Fünf
Jahre “danach“
hätte mir jemand
gesagt, ich würde eines Tages wieder Zeiten der inneren Ruhe
und glückliche Momente erleben können, so wäre mir
dies unvorstellbar gewesen. Dies sind für mich die Momente des
Tiefdurchatmens und Kraftschöpfens geworden. Es sind Momente,
deren Wirkung in ihrer Intensität ich vollkommen vergessen hatte
– Momente, in welchen ich mich leicht und im Einklang mit der
Natur fühle und vielleicht auch – eine leise Ahnung des
Urgrund alles Seins wahrnehme.
Oft sind es die kleinen Erlebnisse, an denen ich mich erfreuen kann,
und welche auf einzigartige Weise beruhigend wirken. Es sind Dinge,
die so selbstverständlich da sind und nur wahrgenommen werden
möchten, wie eine Blume, deren Schönheit oder Duft in Staunen
versetzen kann; der Wind, der gleich einem Spiel die Blätter
tanzen läßt oder eine Vogelmama, welche eifrig und berührend
den Hunger ihrer Jungen zu stillen versucht. Vorüberziehende
Wolken können mich ebenso in ihren Bann ziehen wie ein peitschender
Regen oder ein tosendes Gewitter. Es sind die elementaren Kräfte
der Natur, ob lieblich oder gewaltig, welchen ich mich tief verbunden
fühle und während dieses Erlebens ich auch meine eigene
Lebendigkeit wieder intensiv wahrnehmen kann.
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Es ist ein neues, ein anderes und auch
sehr viel bewussteres Leben. Aus anderen Perspektiven beleuchtet hat
sich meine Weltanschauung in vieler Hinsicht verändert.
Es ist ein Leben mit der Abwesenheit meines Sohnes und sein Fernsein
begleitet mich ständig. Trauer und Sehnsucht sind meine Begleiter
geworden und ich habe schmerzhaft lernen müssen, dieses neue
Leben anzunehmen. Doch die Trauer ist ruhiger geworden. Rückschläge
sind seltener und weniger heftig. Dennoch fehlt Manuel mir unsagbar.
Hätte er Gelegenheit gehabt, sich weiter zu entfalten...was alles
er noch zu entdecken und erleben vor sich hatte...
Der Weltenlauf geht ungerührt weiter – es scheint keinen
Unterschied zu machen, was Manuel erlebt hat – was andere mit
ihm erlebt haben – und dennoch ist jeder erlebte Augenblick
mit ihm eine Kostbarkeit, die gewesen ist und die Welt verändert
hat.
Das wird uns Trauernde wohl unser Leben lang begleiten. So soll es
auch sein. Währenddessen andere Eltern auf jede erdenkliche Weise
für ihre Kinder da sein können, bleibt uns der Gang zum
Grab unseres Kindes, einzige Geschenke sind Blumen, Kerzen und kleine
Geschenke, mit welchen wir in Hilflosigkeit unsere Liebe auszudrücken
versuchen. Noch immer leiten meine Füße mich täglich
zu diesem Ort.
Die Liebe bleibt und sucht weiterhin einen Weg, sich ausdrücken
zu können.
Liebe ist um den Ausdruck nicht verlegen, sie hat tausend
Sprachen, Symbole, Offenbarungen.
[Nicolai Hartmann (1882-1950)]
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Das größte Geheimnis
ist das Leben.
Das tiefste Geheimnis
ist die Ewigkeit.
Das schönste Geheimnis
ist die Liebe.
Geheimnis,
dem selbst
der Tod
machtlos
gegenübersteht.
Irmgard Erath
Wohl kaum irgendetwas kann zerstörerischer,
vernichtender sein als der Tod eines über alles geliebten
Menschen. Mit Manuels Tod schien auch meine Identität verloren
gegangen zu sein. Gelähmt von Orientierungslosigkeit und
Ohnmacht hatten sich unüberwindbare Abgründe aufgetan,
die keinen Blick in eine lebbare Zukunft zuließen. |
Du bist
gestorben
Du bist gestorben
Alles was ich war
Und gewesen sein sollte
War dahin
In den Strahlen des Mondes
Du hattest mein Abbild
Mitgenommen
In Deinen Tod
Als Erinnerung
Im letzten Brechen Deiner Augen
Doch Dein Atem
Ist fruchtbar geworden
Nach Deinem Tode
Zum ewigen Leben
Im bleibenden Wort
Aus Liebe
K.U. Götz
Irgendwann tauchte eine
Ahnung auf, mich selbst neu erfahren zu müssen. Teile meines
Selbst würden zu mir zurückkehren, doch der Raum, den Manuel
in meinem Herzen einnahm, würde niemals ersetzt werden. Andere
Wertigkeiten würden Gültigkeit haben, immer mit dem Wissen
um die Zerbrechlichkeit des Lebens.
Auf Scherben
Mit nackten Füßen
auf Scherben stehen
mit zitternden Händen
die Splitter ziehen
mit blutendem Herzen
beschwören das Heil.
Annemarie Schnitt
Doch wo würde ich jetzt wohl
stehen, wären nicht immer wieder diese Momente gewesen, in welchen
ich mit einer für mich unumstößlichen Gewissheit Manuels
Anwesenheit wahrnahm, ihn mir unerwartet so nahe fühlte? So wie
es auch ganz besondere Geschehnisse gab, welche nicht von dieser Welt
zu kommen schienen. Dieses erfahren zu dürfen, habe ich in tiefer
Dankbarkeit als ein kostbares Geschenk angenommen. Auf diese Weise
erfuhr ich die tiefe Bedeutung des Wortes Demut.
Somit begann meine Suche nach der
großen Wahrheit. Wenigstens zu einer leisen Vorstellung von
den Gesetzesmäßigkeiten der geistigen Welt zu finden, war
mein inständiger Wunsch. Wo ist mein Sohn jetzt? Ich wollte darüber
erfahren!
Der Tod
Wie er ein Ende setzt
unwiderruflich
wie er trennt
was unzertrennlich
wie er halbiert
was ganz war
wie er weiterzieht
als sei nichts geschehen
wie er mit kalter Hand
einen neuen Horizont aufreißt
nach dem Einsturz aller Horizonte.
Annemarie Schnitt
im Kern unseres Wesens sind wir unsterblich
und unverletzbar. Das Eigentliche in uns, in den Tiefen unseres Inneren
ruhend, verborgen vor unseren Augen, wird nicht geboren und stirbt
nicht.
Wieviel Wasser fließt unterirdisch
und dringt nie als Quelle zur Erdkruste durch?
Wieviele Gedanken und Absichten schlummern in uns
und können doch nie die Schale unseres Herzens aufbrechen?
Versuchen wir jenes Wasser zu sein,
das als Quelle seinen Weg findet.
Albert Schweitzer
In langer, intensiver Auseinandersetzung mit
den Lehren des Buddhismus, insbesondere des tibetischen, sowie anderen
Religionen, dem Schamanismus, Berichten von Medien ( Plural von Medium)
und Forschern des Lebens nach dem Tod, vieler Schriften großer
Gelehrter und geistig moralischer Instanzen und nicht zuletzt mit
eigenen Erfahrungen – selbst Erfahrenem, habe ich mein Weltbild
neu definiert. Bestandteil dieses Bildes ist, wie ich selbst so schmerzhaft
erfahren musste, die Bewusstheit “nichts" ist beständig.
So sollt ihr diese flücht`ge Welt beschau`n:
Wie einer Sommerwolke Wetterleuchten,
Wie einen Stern im ersten Morgengrau`n,
Wie einer Flamme unbeständ`gen Schein,
Wie einer Welle schnellverwehten Schaum,
Wie ein Phantom. Ein Trugbild ohne Sein,
Wie eines schlafverfall`nen Geistes Traum.
Buddha
Eine Erkenntnis von heute kann
die Tochter eines Irrtums von gestern sein.
Marie v. Ebner-Eschenbach
***
Ich hatte auch keine Scheu, selbst
mit einem Medium in Kontakt zu treten. Es war ein unerwartet intensives
Erlebnis, welches noch bis heute in mir nachklingt.
Haben wir einmal den Weg auf die Suche nach der großen Wahrheit
eingeschlagen, gibt es kein Zurück und auch keinen Stillstand
mehr. Teil dessen ist auch, sich mit den eigenen dunklen Seiten auseinanderzusetzen.
Dennoch bleibt die Sehnsucht nach meinem Sohn - immer wieder schmerzhaft
erlebt - denn diese Sehnsucht bleibt - unstillbar.
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Inschrift
Sag in was
schneide ich
deinen Namen?
In den Himmel?
Der ist zu hoch
In die Wolken?
Die sind zu flüchtig
In den Baum
der gefällt und verbrannt wird?
Ins Wasser
das alles fortschwemmt?
In die Erde
die man zertritt
und in der nur
die Toten liegen?
Sag
in was
schneide ich
deinen Namen?
In mich
und in mich
und immer tiefer
in mich.
Erich Fried
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Eure Herzen kennen im stillen die Geheimnisse
der Tage und Nächte.
Aber eure Ohren dürsten nach den Klängen
des Wissens eures Herzens.
Ihr wollt in Worten wissen,
was ihr in Gedanken immer gewußt habt.
Ihr wollt mit den Händen den nackten Körper
eurer Träume berühren.
Und das ist gut so.
Die verborgene Quelle eurer Seele
muß unbedingt emporsteigen
und murmelnd zum Meer fließen;
Und der Schatz eurer unendlichen Tiefen
möchte euren Augen offenbart werden.
Aber wiegt den unbekannten Schatz nicht mit Waagschalen.
Und erforscht die Tiefen eures Wissens
nicht mit dem Meßstock oder Senkschnur.
Denn das Ich ist ein Meer,
grenzenlos und unermeßlich.
Sagt nicht: "Ich habe die Wahrheit gefunden",
sondern lieber: "Ich habe eine Wahrheit gefunden."
Sagt nicht: "Ich habe den Pfad der Seele gefunden."
Sagt lieber: "Ich habe die Seele auf meinem Pfad wandelnd getroffen."
Denn die Seele wandelt auf allen Pfaden.
Die Seele wandelt nicht auf einer Linie,
noch wächst sie wie ein Schilfrohr.
Die Seele entfaltet sich wie eine Lotusblume
mit zahllosen Blättern.
Khalil Gibran
Vor einiger Zeit nahm eine Besucherin
dieser Seite Kontakt zu mir auf. Sie selbst erfuhr eine sehr schwere
Kindheit, ihre Wunden sind bis heute nicht verheilt. Mit ihrer Erlaubnis
darf ich aus ihren Briefen zitieren, welche mich aufs Tiefste berühren:
“...zunächst einmal
möchte ich Ihnen mein tiefstes Mitgefühl entgegenbringen...
habe immer wieder das Gefühl; als kenne ich Manuel, als wäre
ich ihm irgendwo begegnet, als rufe er mich dazu die Seite zu besuchen
um mich zu beruhigen, warum auch immer...“
“...Ich sehe in Manuels Gesicht
und er tröstet mich - verrückt, ein Junge 18 Jahre alt,
den ich nie kennengelernt habe, aber er hilft mir...es ist das Gesicht,
die Augen, die mir Trost spenden, warum auch immer...In diesem Jungen
steckt soviel Güte, Liebe, dass ich es so deutlich spüren
kann...Er scheint mir zu sagen, ich solle mich nun aufraffen, Gutes
zu tun...Das tue ich nun, die erste gute Tat ist, ich helfe einem
leukämiekranken Menschen. Ich spende Stammzellen. Ich rette Leben,
vielleicht einem Kind, Mann oder Frau. Endlich kann ich was Sinnvolles
für diese Welt tun. Es macht mich stärker und selbstbewusster
und ich glaube dass Manuel damit was zu tun hat...“
“...Dieser Blick, ich habe immer dass Gefühl er ist in
meiner Nähe und sorgt dafür, dass mir der Weg geebnet wird.
Dieser Junge hilft mir aus irgendeinem Grund. Ich scheine seine Seele
zu kennen und er meine auch. Es ist wirklich schwer zu erklären...
Ich liebe dieses Kind und verneige mich vor Ihm. Ich bewundere seine
Kraft, die Ruhe und Güte die er ausstrahlt. Er ist was ganz besonderes...“
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Die
Welt sehn in einem Körnchen Sand
den Himmel in einem Blütenrund,
die Unendlichkeit halten in der Hand,
die Ewigkeit in einer Stund.
William Blake |
im Mai 2006
aktualisiert im Mai 2007
Niemand ist fort, den man
liebt.
Liebe ist ewige Gegenwart.
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***
Denn die Liebe ist es, die den Weg vom Zeitlichen
zum Ewigen und vom Ewigen zum Zeitlichen zu weisen nicht aufhört
und nach keiner festen Gestalt dieses Ewigen fragt, an keine sich
bindet, weil diesen Weg, diese Verbindung zu schaffen das Wesen
der Liebe selbst ist.
[Margarete Susman (1872-1966)]